Gesundheitliche Eignungsprüfung

Bei Einstellungen und Beförderungen muss Ihr Dienstherr im Rahmen der Eignungsprüfung nach Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG) immer auch eine Entscheidung darüber treffen, ob diejenigen, die sich bewerben, den Anforderungen des jeweiligen Amts in gesundheitlicher Hinsicht entsprechen. Zur Prüfung der gesundheitlichen Eignung gehört auch eine Prognose bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze. Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht nach neuerer Rechtsprechung einen abgesenkten Prognosemaßstab festgelegt.

 

Eignungsprüfung

Geeignet im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG sind Sie als Beamtenbewerber nur dann, wenn Sie dem angestrebten Amt nicht nur in fachlicher, sondern auch in körperlicher und psychischer Hinsicht gewachsen sind.(1) Schließt Ihre körperliche oder psychische Verfassung die gesundheitliche Eignung aus, ist auch Ihre Verbeamtung ausgeschlossen, und das unabhängig von Ihrer fachlichen Eignung.


Die Frage der gesundheitlichen Eignung hat insbesondere für folgende beamtenrechtliche Entscheidungen Bedeutung:

 

  • Verbeamtung auf Probe(2) 
  • Verbeamtung auf Lebenszeit; Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe wegen mangelnder gesundheitlicher Eignung(3) 
  • Verbeamtung auf Widerruf zur Ableistung eines Vorbereitungsdiensts zum Erwerb einer Laufbahnbefähigung, zum Beispiel für den Polizeivollzugsdienst. Etwas anderes gilt nur für Vorbereitungsdienste, die wie die juristische oder Lehramts-Referendarausbildung auch den Zugang zu Berufen außerhalb des Staatsdienstes vermitteln.(4)

 

Schließlich können auch im Rahmen von Personalauswahlentscheidungen begründete Zweifel an Ihrer gesundheitlichen Eignung, zum Beispiel aufgrund längerer Erkrankungen, zum Ausschluss vom Auswahlverfahren führen.(5) 

 

Neuer Prognosemaßstab des Bundesverwaltungsgerichts (Änderung der Rechtsprechung)
Ihr Dienstherr muss Ihre gesundheitliche Eignung für das von Ihnen angestrebte Amt nicht nur nach gegenwärtigem Stand, sondern auch für die künftige Amtstätigkeit prüfen. Die Prüfung enthält also eine prognostische Einschätzung, die den Zeitraum bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze erfasst. Diese Prognose ist erforderlich, um ein ausgewogenes Verhältnis von Lebensdienstzeit und Ruhestandszeit sicherzustellen.


Nach früherer Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts wurde bereits dann die gesundheitliche Eignung von Bewerbern verneint, wenn die Möglichkeit künftiger Erkrankungen oder des Eintritts der dauernden Dienstunfähigkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze nicht mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden konnte.(6) Damit konnten bereits geringe gesundheitliche Einschränkungen dazu führen, dass Bewerber nicht eingestellt wurden. Die negative Eignungsprognose wurde in Fällen, in denen die aktuelle gesundheitliche Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtigt war, mit Typisierungen und statistischen Wahrscheinlichkeiten begründet, die weder einem Gegenbeweis noch einer nachträglichen Korrektur zugänglich sind.(7) 


Nach neuerer Rechtsprechung wendet das Bundesverwaltungsgericht zugunsten nicht schwerbehinderter Bewerber einen abgesenkten generellen Prognosemaßstab an:

 

  • Bewerbern, deren gesundheitliche Leistungsfähigkeit aktuell nicht eingeschränkt ist, fehlt die gesundheitliche Eignung, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass sie mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze wegen dauernder Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt werden.(8) Das gilt auch für Bewerber, die einer Risikogruppe angehören oder an einer chronischen Erkrankung leiden.
  • Eine gesundheitliche Eignung fehlt Bewerbern auch dann, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass sie mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zwar die gesetzliche Altersgrenze erreichen werden, aber bis zu ihrem Erreichen über Jahre hinweg regelmäßig krankheitsbedingt ausfallen und deshalb eine erheblich geringere Lebensdienstzeit aufweisen werden.(9) Die wahrscheinlich erwartbaren Fehlzeiten müssen in der Summe ein Ausmaß erreichen, das einer Pensionierung wegen Dienstunfähigkeit etliche Jahre vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze gleichkommt.
  • Angesichts der Unsicherheiten einer über einen derart langen Zeitraum abzugebenden Prognose dürfen die Anforderungen an den Nachweis der gesundheitlichen Eignung nicht überspannt werden. Lassen sich vorzeitige Dienstunfähigkeit oder krankheitsbedingte erhebliche und regelmäßige Ausfallzeiten nach Ausschöpfen der zugänglichen Beweisquellen weder feststellen noch ausschließen (»non liquet«) geht dies zu Lasten des Dienstherrn.(10) Auch »nachhaltige Zweifel« an der gesundheitlichen Eignung reichen nicht aus.(11)

 

Die Kläger in den vom Bundesverwaltungsgericht am 25. Juli 2013 entschiedenen Revisionsverfahren BVerwG 2 C 12.11 und BVerwG 2 C 18.12 waren Lehrer, die im Angestelltenverhältnis beschäftigt wurden. Ihre gesundheitliche Eignung für eine Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe lehnte der Dienstherr wegen des gesundheitlichen Risikos der vorzeitigen Pensionierung ab. Der Kläger im Verfahren BVerwG 2 C 12.11 war an Multipler Sklerose erkrankt, die Klägerin im Verfahren BVerwG 2 C 18.12 an der sog. Scheuermannschen Krankheit. Bei beiden Klägern war ein Grad der Behinderung von 30 Prozent festgestellt worden; sie waren jedoch Schwerbehinderten nicht gleichgestellt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in den Revisionsverfahren die Urteile aufgehoben und die Verfahren an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. In dem am 30. Oktober 2013 entschiedenen Revisionsverfahren BVerwG 2 C 16.12 war die zur Beamtin auf Probe ernannte Klägerin während der Probezeit von Februar 2005 bis Ende 2006 infolge von Bandscheibenerkrankungen dienstunfähig. Mit der Begründung, die Klägerin sei gesundheitlich ungeeignet, entließ die Behörde die Klägerin. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Urteil aufgehoben und das Verfahren an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.


Anders als bei der fachlichen Eignung steht Ihrem Dienstherrn nach der neueren Rechtsprechung bei der Frage, ob Sie als Bewerber den laufbahnbezogen festgelegten Voraussetzungen in gesundheitlicher Hinsicht genügen, kein Beurteilungsspielraum mehr zu.(12) Damit können die Gerichte die abzugebende Prognose jetzt uneingeschränkt überprüfen.

 

Vor der gesundheitlichen Eignungsprüfung muss Ihr Dienstherr die Anforderungen der jeweiligen Laufbahn für die Dienstausübung, denen Bewerber in gesundheitlicher Hinsicht genügen müssen, in Ausübung seiner Organisationsgewalt festlegen. Das hat vor allem Bedeutung für Laufbahnen, die besondere Anforderungen an die körperliche Eignung stellen, zum Beispiel für die Laufbahnen des Polizeivollzugdienstes oder Feuerwehrdienstes. Bei der Festlegung der Anforderungen steht Ihrem Dienstherrn ein weiter Ermessensspielraum zu. Seine Vorgaben sind der Maßstab, an dem Ihre individuelle körperliche Leistungsfähigkeit zu messen ist:(13) Als Bewerber müssen Sie für die gesamte Laufbahn und nicht nur für einzelne Dienstposten gesundheitlich geeignet sein.(14) 


Verwertbarkeit ärztlicher Stellungnahmen
Die prognostische Beurteilung, ob Sie als Bewerber den gesundheitlichen Anforderungen der jeweiligen Laufbahn genügen werden, ist aufgrund einer fundierten medizinischen Tatsachengrundlage zu treffen, die von sachverständigen Ärzten ermittelt wird. Auf dieser Grundlage hat Ihr Dienstherr die Rechtsfrage der gesundheitlichen Eignung im Sinne des Art. 33 Abs. 2 GG eigenverantwortlich zu entscheiden;(15) das Gericht hat die Entscheidung Ihres Dienstherrn zu überprüfen.


In der ärztlichen Stellungnahme müssen die Anknüpfungs- und Befundtatsachen dargestellt, die Untersuchungsmethoden erläutert und die Hypothesen sowie ihre Grundlage offengelegt werden. Auf dieser Grundlage ist unter Ausschöpfung der vorhandenen Erkenntnisse zu Ihrem Gesundheitszustand eine Aussage über die voraussichtliche Entwicklung Ihres Leistungsvermögens zu treffen. Statistische Erkenntnisse über den voraussichtlichen Verlauf einer Erkrankung sind nur verwertbar, wenn sie auf einer belastbaren Basis beruhen. Bei der Frage der Verwertbarkeit von ärztlichen Stellungnahmen ist zu prüfen, ob Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Ärzte bestehen, ob von zutreffenden sachlichen Voraussetzungen ausgegangen wird und ob die entscheidungserheblichen Fragen plausibel und nachvollziehbar abgehandelt werden.(16) 


Bedeutung der neueren Rechtsprechung am Beispiel der Adipositas

Ein großer Teil der Bewerber, die nach der früheren Rechtsprechung wegen fehlender gesundheitlicher Eignung abgewiesen worden wären, wird heute aufgrund des veränderten Prognosemaßstabes mit einer Übernahme in das Beamtenverhältnis rechnen können.


Das Bundesverwaltungsgericht hat selbst festgestellt, dass der aufgegebene Prognosemaßstab das Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG auf Zugang zu einem öffentlichen Amt unverhältnismäßig eingeschränkt habe:(17)

Der aufgegebene Prognosemaßstab habe in der Praxis dazu geführt, dass Bewerber oder Probebeamte ohne Prüfung ihrer voraussichtlichen gesundheitlichen Entwicklung als ungeeignet angesehen wurden, weil ihr Gesundheitszustand vom Regelzustand abwich oder sie in der Probezeit vorübergehend erkrankten. Dies sei insbesondere im Hinblick auf den langen, sich über Jahrzehnte erstreckenden Prognosezeitraum und die Unsicherheit medizinischer Prognosen angesichts der Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG unverhältnismäßig. Dies gelte nicht nur für die Einschätzung der gesundheitlichen Entwicklung und die Komplexität medizinischer Voraussagen, sondern auch im Hinblick auf den medizinischen Fortschritt.


Die Schlussfolgerungen der neueren Rechtsprechung sind bereits für die Frage der gesundheitlichen Eignung bei Adipositas spürbar geworden. Nach früherer Rechtsprechung konnte bei Adipositas ab bei einem bestimmten Body-Maß-Index (BMI) von einer fehlenden gesundheitlichen Eignung ausgegangen und die Einstellung generell verweigert werden. Unter Hinweis auf seine neuere Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht dazu erklärt, dass die gesundheitliche Eignung von Bewerbern nicht aufgrund eines Vergleichs verschiedener Personengruppen oder verschiedener gesundheitlicher Risiken zu beurteilen sei.(18) Vielmehr komme es darauf an, ob für den jeweiligen Bewerber die Prognose gestellt werden kann, er werde mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt oder bis dahin über Jahre hinweg regelmäßig krankheitsbedingt ausfallen und deshalb eine erheblich geringere Lebensdienstzeit aufweisen. Dies komme insbesondere bei Angehörigen einer Risikogruppe in Betracht, die an einer Krankheit leiden, aufgrund derer das Risiko, wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt zu werden oder regelmäßig krankheitsbedingt auszufallen, deutlich erhöht sei.


Der Entscheidung lag der Fall einer Beamtin auf Probe zugrunde, die wegen ihres Übergewichts für eine Lebenszeitverbeamtung als nicht gesundheitlich geeignet angesehen und aus dem Beamtenverhältnis auf Probe entlassen wurde, obschon sie keinerlei krankheitsbedingte Fehlzeiten aufwies. Das Bundesverwaltungsgericht hat das entsprechende Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts aufgehoben und es dahin zurückverwiesen. Daraufhin hat das Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Entlassungsverfügung aufgehoben und den Dienstherrn verpflichtet, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.(19) 


Daraus kann folgende Schlussfolgerung gezogen werden: Nach der neueren Rechtsprechung muss der Dienstherr bei Adipositas bezogen auf den einzelnen Fall gewichtige medizinische Gründe dafür vorbringen, dass das Übergewicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einer vorzeitigen Versetzung in den Ruhestand führt. Dabei kann er sich nicht mehr allein auf das Übergewicht, den Body-Maß-Index und allgemeine statistische Erkenntnisse stützen, sondern muss auch auf sonstige gesundheitliche Aspekte wie Bluthochdruck, Diabetes etc. abstellen. In diesem Zusammenhang ist auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 18. Dezember 2014 (20) von Bedeutung: Demzufolge kann Adipositas eine Behinderung im Sinne der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 darstellen. Voraussetzung dafür ist, dass die Adipositas Arbeitnehmer nicht daran hindert, uneingeschränkt und gleichberechtigt mit anderen Arbeitnehmern am Berufsleben teilzunehmen. 

 

 

(1) BVerfG vom 10.12.2008 – 2 BvR 2571/07, Rn. 16; OVG Nordrhein-Westfalen vom 01.02.2013 – 6 B 1196/12, Rn. 5, openJur 2013, 5154
(2) BVerwG vom 25.07.2013 – 2 C 12.11, BVerwGE 147, 244
(3) BVerwG vom 30.10.2013 – 2 C 16.12, BVerwGE 148, 204
(4) Sächsisches OVG vom 12.09.2013 – 2 B 431/13, Rn. 7, 10
(5) OVG Nordrhein-Westfalen vom 01.09.2014 – 1 B 745/14, Rn. 14 ff., openJur 2014, 20186
(6) BVerwG vom 23.04.2009 – 2 B 79.08, juris
(7) BVerwG vom 25.07.2013 – 2 C 12.11, Rn. 17, BVerwGE 147, 244
(8) BVerwG vom 25.07.2013 – 2 C 12.11, Rn. 16, BVerwGE 147, 244, und BVerwG vom 25.07.2013 – 2 C 18.12, Rn. 16, Behindertenrecht 2014, 68
(9) BVerwG vom 30.10.2013 – 2 C 16.12, Rn. 23, BVerwGE 148, 204
(10) BVerwG vom 30.10.2013 – 2 C 16.12, Rn. 28, BVerwGE 148, 204
(11) BVerwG vom 30.10.2013 – 2 C 16.12, Rn. 29, BVerwGE 148, 204, Änderung der Rechtsprechung zu BVerwG vom 18.07.2001 – 2 A 5.00, Rn. 15, 19 f., NVwZ -RR 2002, 49
(12) BVerwG vom 25.07.2013 – 2 C 12.11, BVerwGE 147, 244; Änderung der Rechtsprechung zu BVerwG vom 18.07.2001 – 2 A 5.00, Rn. 15, NVwZ-RR 2002, 49
(13)BVerwG vom 25.07.2013 – 2 C 12.11, Rn. 12, BVerwGE 147, 244; Schleswig-Holsteinisches OVG vom 30.07.2014, Rn. 70, openJur 2014, 18321
(14) BVerwG vom 25.07.2013 – 2 C 12.11, Rn. 36, BVerwGE 147, 244
(15) BVerwG vom 25.07.2013 – 2 C 12.11, Rn. 11, BVerwGE 147, 244
(16) BVerwG vom 30.10.2013 – 2 C 16.12, Rn. 31 ff., BVerwGE 148, 204
(17) BVerwG vom 30.10.2013 – 2 C 16.12, Rn. 24, BVerwGE 148, 204
(18) BVerwG vom 13.12.2013 – 2 B 37.13, Rn 8, JurionRS 2013, 53182
(19) Schleswig-Holsteinisches OVG vom 30.07.2014 – 2 LB 2/14, juris
(20) C-354/13, NJW 2015, 391