Verfahrensrechte im Disziplinarverfahren

Obwohl das behördliche Disziplinarverfahren kein Strafverfahren ist, gelten auch für dieses die rechtsstaatlichen Grundsätze zugunsten von Personen, die einer Straftat beschuldigt werden.

 

Verfahrensrechte

Die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 2, Art. 28 Abs. 1 GG) zu Gunsten von Beschuldigten ableitbaren Verfahrensgrundsätze haben ihre Gültigkeit auch im Disziplinarverfahren. Dies sind vor allem die Grundsätze:

 

  • Rechtliches Gehör 
  • Verhältnismäßigkeit 
  • Unschuldsvermutung
  • Vertraulichkeit
  • Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme
  • »in dubio pro reo« 
  • Verschlechterungsgebot 

 

Diese Verfahrensgrundsätze sind den Regelungen des Bundesdisziplinargesetzes (BDG) bzw. Hessischen Disziplinargesetzes (HDG) aus rechtsstaatlichen Gründen zugrunde gelegt, auch wenn das Disziplinarverfahren kein Strafverfahren im eigentlichen Sinne, sondern ein verwaltungsgerichtliches Verfahren ist.

 

Aussageverweigerungs- oder Schweigerecht

Als Beschuldigtem steht es Ihnen im Disziplinarverfahren frei, ob Sie sich zur Sache äußern möchten oder nicht (§ 20 Abs. 1 S. 3 BDG bzw. § 23 Abs. 1 S. 3 HDG). Darüber sind Sie bei Einleitung des behördlichen Disziplinarverfahrens zu belehren. Fehlt diese Belehrung oder war sie fehlerhaft, darf Ihre Aussage nicht zu Ihrem Nachteil verwendet werden (§ 20 Abs. 3 BDG bzw. § 23 Abs. 3 HDG). Als Beschuldigter sind Sie nicht verpflichtet, an der Sachaufklärung mitzuwirken und zu einer angeordneten Anhörung zu erscheinen. 

 

Ihr Aussageverweigerungs- oder Schweigerecht ergibt sich aus dem allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsatz, dass sich ein Beschuldigter nicht selbst belasten muss. Dieser Grundsatz und damit das Aussageverweigerungs- oder Schweigerecht gilt auch in allen Instanzen des gerichtlichen Disziplinarverfahrens, selbst wenn das BDG bzw. HDG nicht ausdrücklich darauf Bezug nehmen.

 

Anspruch auf rechtliches Gehör

Als Beschuldigter haben Sie in jeder Phase des Verfahrens Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 3 BDG bzw. § 6 HDG, § 28 VwVfG, § 108 Abs. 2 VwGO). Aufgrund Ihres Anhörungsrechts sind Sie berechtigt, aufgrund Ihres Schweigerechts aber nicht verpflichtet, an der Sachaufklärung mitzuwirken. Sie haben ferner das Recht, an der Beweisaufnahme teilzunehmen, sachdienliche Fragen oder Beweisanträge zu stellen und Sachverständigengutachten einzusehen (§ 24 Abs. 3 und 4 BDG bzw. § 27 Abs. 3 und 4 HDG). Von der Teilnahme an einer Zeugenvernehmung und an einer Einnahme des Augenscheins können Sie nur ausgeschlossen werden, wenn dies aus wichtigen Gründen insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Ermittlungen oder zum Schutze der Rechte Dritter erforderlich ist (§ 24 Abs. 4 S. 2 BDG bzw. § 27 Abs. 4 S. 2 HDG). Des Weiteren haben Sie Akteneinsichtsrecht (§§ 3 BDG bzw. § 6 HDG, 29 VwVfG, § 100 VwGO).

 

Dienstliche Wahrheitspflicht

Entscheiden Sie sich für eine Aussage zur Sache aus, sind Sie zur wahrheitsgemäßen Aussage nur insoweit verpflichtet, als Sie sich nicht selbst belasten. Wahrheitswidrige Aussagen zum eigenen Schutz sind nur dann zulässig, wenn Dritte nicht vorsätzlich zu Unrecht belastet werden. Aus Ihrem Verhalten im Disziplinarverfahren dürfen für Sie keine nachteiligen Schlüsse gezogen werden.

 

Gleichrangigkeit im gerichtlichen Disziplinarverfahren

Im gerichtlichen Disziplinarverfahren stehen Sie und Ihr jeweiliger Dienstherr sich als Kläger und Beklagter gegenüber, das heißt, Sie sind gleichrangige Verfahrensbeteiligte. Es finden nach § 3 BDG bzw. § 6 HDG die Vorschriften der §§ 61 ff. VwGO Anwendung. In ihrer Rolle als Kläger oder Beklagter sind Sie immer auch Beschuldigter, mit der Folge, dass Sie für sich entsprechende Schutzrechte wie das Schweigerecht in Anspruch nehmen können.

 

Bevollmächtigte, Beistand und bestellte Vertreter

Als Beschuldigter können Sie sich im ganzen Disziplinarverfahren durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen oder sich eines Beistands bedienen (§§ 3 BDG bzw. § 6 HDG, 14 Abs. 1 VwVfG). Bereits bei Einleitung des behördlichen Disziplinarverfahrens sind Sie darüber zu belehren (§ 20 Abs. 1 S. 3 BDG bzw. § 23 Abs. 1 S. 3 HDG). Bevollmächtigter oder Beistand können zum Beispiel ein Rechtsanwalt, ein Gewerkschaftsvertreter oder ein Mitglied des Personalrats sein. Sind Sie aufgrund psychischer oder körperlicher Einschränkungen nicht handlungsfähig, hat auf Antrag Ihres Dienstvorgesetzten das zuständige Betreuungsgericht von Amts wegen einen geeigneten Vertreter zu bestellen (§ 3 BDG bzw. § 6 HDG, § 62 Abs. 4 VwGO, § 57 ZPO). Wurde jedoch ein behördliches Disziplinarverfahren eingeleitet, ohne Ihnen einen bestellten Vertreter an die Seite zu stellen, muss es eingestellt werden (§ 32 Abs. 1 Nr. 4 BDG bzw. § 36 Abs. 1 Nr. 1 HDG).

 

Anwaltszwang

Im gerichtlichen Disziplinarverfahren müssen Sie sich vor dem Oberverwaltungsgericht und dem Bundesverwaltungsgericht anwaltlich vertreten lassen (§ 3 BDG bzw. § 6 HDG, § 67 Abs. 4 VwGO).

 

Beteiligung von Personalrat und Schwerbehindertenvertretung

Sowohl bei der Einleitung eines behördlichen Disziplinarverfahrens als auch bei Erlass einer Disziplinarverfügung ist der Personalrat nicht zu beteiligen. Wird gegen Sie als Beschuldigten Disziplinarklage erhoben, können Sie – sofern Sie im Bundesbereich tätig sind – beantragen, dass der Personalrat mitwirken darf (§ 84 Abs. 1 Nr. 4 BPersVG). 

 

Sind Sie schwerbehindert, muss Ihr Dienstvorgesetzter die Schwerbehindertenvertretung rechtzeitig und umfassend über die Einleitung des Disziplinarverfahrens unterrichten (§ 95 Abs. 2 S. 1 SGB IX). Diese ist auf Ihren Wunsch hin sowohl vor Erlass einer Disziplinarverfügung als auch vor Erlass einer Disziplinarklage anzuhören. Die getroffene Entscheidung ist der Schwerbehindertenvertretung unverzüglich mitzuteilen (§ 95 Abs. 2 S. 1 SGB IX).

 

Disziplinarverfahren gegen ein Mitglied des Personalrats

Auch wenn Sie Mitglied eines Personalrats sind, kann – selbst im Falle der Freistellung – gegen Sie ein Disziplinarverfahren eingeleitet und durchgeführt werden, da durch die Mitgliedschaft in einer Personalvertretung Ihr Beamtenstatus und die damit verbundenen Beamtenpflichten unberührt bleiben. Sollten Sie während des Disziplinarverfahrens nach § 38 BDG bzw. § 43 HDG vorläufig Ihres Dienstes enthoben werden, ruht auch die Mitgliedschaft im Personalrat (§ 30 BPersVG bzw. § 27 HPersVG). Dies gilt auch, wenn Ihnen bereits vor Einleitung des Disziplinarverfahrens die Führung der Dienstgeschäfte nach § 66 BBG bzw. § 39 BeamtStG untersagt wurde.

 

Möglichkeiten des Rechtschutzes nach rechtskräftigem Urteil

Wurden Sie im gerichtlichen Disziplinarverfahren rechtskräftig verurteilt, können Sie die Disziplinarmaßnahme nur im Wege der Wiederaufnahme des gerichtlichen Disziplinarverfahrens (§§ 71 ff. BDG bzw. §§ 75 ff. HDG), durch Verfassungsbeschwerde oder im Gnadenwege (§ 81 BDG bzw. § 85 HDG) angreifen:

 

  • Die Wiederaufnahme ist zulässig, wenn einer der in § 71 Abs. 1 BDG bzw. § 75 Abs. 1 HDG aufgeführten Wiederaufnahmegründe und nach § 72 Abs. 1 BDG bzw. § 76 Abs. 1 HDG kein Unzulässigkeitsgrund vorliegt. Sowohl Sie als Beschuldigter als auch Ihr Dienstvorgesetzter können den Antrag auf Wiederaufnahme binnen 3 Monaten nach Bekanntwerden des Wiederaufnahmegrunds bei dem Gericht einreichen, dessen Entscheidung angegriffen wird. Endet das Wiederaufnahmeverfahren mit der Aufhebung des angegriffenen Urteils, also zu Ihren Gunsten, erhalten Sie die Rechtsstellung, die Sie erhalten hätten, wenn das aufgehobene Urteil der Entscheidung des Wiederaufnahmeverfahrens entsprochen hätte (§ 76 Abs. 1 Satz 1 BDG bzw. § 80 Abs. 1 HDG).
  • Sie können gegen das rechtskräftige Urteil auch Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einreichen.
  • Das Begnadigungsrecht in Disziplinarsachen steht dem Bundespräsidenten zu (§ 81 BDG bzw. § 85 HDG). Die im Disziplinarverfahren rechts- und bestandskräftig verhängten Maßnahmen und Nebenfolgen können durch Ausübung des Gnadenrechts abgemildert, umgewandelt oder erlassen werden.